Nun bin ich groß

Wann hat sie das zum allerersten Mal gedacht?

Vielleicht zum Schulanfang? Adrett im Kleidchen, weißen Söckchen und neuen Schuhen herausgeputzt, ist ihr ganzer Stolz aber der nagelneue Ranzen auf dem Rücken. Zwar noch etwas steif braucht es Jahre, bis sein Leder schimmernd leuchtet und Verschlüsse geschmeidig in die Schlösser schnappen.

Marianne wird immer größer, der Ranzen irgendwann zu alt und deshalb ausgetauscht gegen eine bunte Hirtentasche, die lässig über ihrer Schulter hängt. Der alte Ranzen muss nun auf den Speicher, gehörte zum alten Eisen und irgendwann gesellt sich die Hirtentasche auch dazu. Die Zeit vergeht. In der Berufsschule gibt es nun die Aktenmappe. Elegant und dunkelrot klemmt sie unter Mariannes Arm, bis auch sie irgendwann ausgedient in die Mülltonne fällt.

Der Arztkoffer soll der nächste sein. Er und Marianne wachsen zusammen, lassen sich selten allein. Er begleitet sie mindestens 15 Jahre und trägt geduldig all‘ die Zeit, was sie so braucht. Taschenleben im Kofferformat – es ist eine mächtige Zeit und jeden Tag denkt Marianne mehr, nun wäre sie groß.

Irgend jemand schenkt ihr einen Rucksack, sehr bequem zu tragen und Marianne denkt doch tatsächlich, jetzt ist sie groß. Schaut deshalb nicht zurück und bekommt so, verdeckt auf dem Rücken, täglich noch mehr aufgeladen. Aber jeden Tag denkt Marianne mehr, endlich bin ich groß.

Letzte Woche wurde Marianne 54 Jahre und überlegt:

Was ist hier eigentlich los,

wann ist man endlich groß,

es kann doch nicht nur an der Tasche liegen.

vanga 2014

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Nun bin ich groß. Mir blüht kein Märchenbuch:

Ich muss oft „Sie“ zu mir selber sagen.

Nur manchmal noch, in jenen stillen Tagen

kommt meine Kindheit heimlich zu Besuch.

Mascha Kaléko: Geburtstag

 

Ein Gedanke zu „Nun bin ich groß“

  1. Treffen nach all den Jahren

    Zwei von sechs waren etwas anders. Sie liebten das Leben in vollen Zügen und das konnte man auch bei diesem Treffen ahnen. Die vier Unbewussten wären sonst nicht gekommen. Die zwei hüpften mit den Armen ineinander gehakt über den Bürgersteig vorneweg. Von hinten konnte man spüren wie die zwei beneidet wurden – ihr Leichtsinn und ihre Fröhlichkeit war nicht jedermanns Sache. Im Gegenteil – die zwei ernteten Böses. Die zwei hatten aber gute Ohren – oben genauso wie etwas weiter unten. Und deshalb hörten sie niedere Äußerungen von hinten. Wie etwas – guckt mal, wie die zwei mit dem Arsch vor und her wackeln – die ham‘ das auch nötig. Die zwei lachten aus vollem Halse so laut, dass alle Welt sie hätte am ARSCH lecken können. Und so kam es wie es kommen musste, die zwei hatten ausgeschissen. Sozusagen – die ganze Nacht. Denn die zwei triumphieren durch alle Gaststätten hindurch – da sie ja plötzlich vom anderen Stern kamen – soll heißen, die eine studierte so was ähnliches wie Esoterik mit allem drum und dran – und die andere Germanistik – was auch immer das alles zum Teufel sein soll. Ja – da war die Geschichte aus, nachdem die zwei alle Menschen in der gastlichen Stube auf ihrer Seite hatten. Die restlichen vier verabschiedeten sich – da Mann und Kinder schon lange warteten und die zwei waren wieder unter sich. Wie immer.

    M. G.

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