Kein Märchen

Es war einmal ein Mädchen und sie war vielleicht zehn oder neun als es passierte, doch so genau weiß das niemand mehr. Früher gab es Dinge im Leben, über die niemand sprach und vielleicht ist das auch heute noch so.

Aber das ist im Moment egal, fangen wir einfach von vorne an. Es gab einen Tag im Leben des Mädchens, da war nichts mehr wie es mal war. Sie lebte in einer großen Familie und auch wenn ihre Eltern sehr streng waren, es wurde viel gelacht in diesem Haus. Ihr Vater war lustig und dem Mädchen lag diese Art der Komik auch. Sie liebte es, wenn die Familie über sie lachte, es machte sie regelrecht stolz.

Dann kam der Tag an dem sie nicht mehr sprechen konnte. Verwirrt suchte ihr Sprache einen Weg, doch musste immer wieder erkennen, dass das nicht mehr ging. Viele Silben stolperten in ihrem Mund und wollten einfach nicht wieder hinaus. Das Mädchen war wie gelähmt und hat sich so geschämt.

Alle haben es nach und nach mitbekommen. Die Eltern und Geschwister, die Nachbarn und Freunde, die Lehrer und Mitschüler. Sie stolperte wortwörtlich und tagtäglich durch ihr neues Leben, dass ihr die Sprache verwehrte. Beteiligung am Unterricht oder ein Melden in der Schulstunde, weil sie es wusste, das alles gab es nicht mehr.

Und dann war da noch diese Stille, weil niemand mit ihr darüber sprach. Alle taten so, als wäre alles völlig normal. Aber im Grunde waren alle vielleicht genauso hilflos wie sie, wer weiß das schon …

So hatte sich das Leben also sehr verändert. Still und in sich gekehrt verbrachte dieses Mädchen nun etliche Jahre ihres Lebens in der Sprachlosigkeit. Oft saß sie einfach nur auf der Fensterbank und ließ ihre Fantasie schweifen. Sie erfand sich neue Leben und Ziele und ihre Träumereien waren immer bunt, wild und mutig. So fand sie ihre innere Stärke und den Glauben an sich sowie die Zuversicht.

Mit 16 begann das Mädchen eine Lehre. Es war ihr eigentlich egal was – aber sie hatte diesen Eignungstest bestanden und war nun sehr stolz, eine Lehrstelle im Büro eines Stahlwerks anzutreten.
Es gab eine Einstellungsfeier und in dem himmelblauen selbstgenähten Kleid ihrer Mutter saß sie zwischen ihren Eltern. Als ihr Name aufgerufen wurde, ging sie ganz aufgeregt nach vorne um ihren Ausbildungsvertrag entgegenzunehmen. Auf dem Rückweg fiel ihr ein Mädchen auf, dass fast genauso aussah wie sie und die beiden lächelten sich verschüchtert an. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, aber das konnten diese beiden damals noch nicht wissen.

So begann also eine neue Ära. Das Mädchen, das nicht sprechen konnte und stets hilfsbereit und äußerst fleißig ihre Aufgaben in ihrer Ausbildungszeit erledigte, lächelte immer und nickte stets verständnisvoll. Das war ihr Schutzschild und zudem machte ihr die Ausbildung richtig viel Freude.

In der Berufsschule und dem wöchentlichen Blockunterricht in Stenografie und Maschineschreiben konnten sich die AZUBIS aus dem Ausbildungsjahrgang immer mehr kennenlernen. Die beiden Mädchen saßen oft zusammen und da war einfach dieses Band , das anfing sie zusammenzuhalten. Aber auch Mädchen haben einen Namen und jetzt geht es mal um den wichtigen Weg, den die Eine für die Andere geht.

Andrea – die nicht spricht und Moni – die sich nicht traut.

Was für zwei Grünlinge und was für eine Zeit. Moni sitzt in der Pause auf der Fensterbank und lutscht am Daumen. Andrea steht daneben und überlegt, ob sie was sagt. Sie beide sind gefangen in ihrer Welt, jede anders, doch das ist alles was grad zählt. Aber Moni ist nebenbei auch Optimist und erzählt gerne, was gerade immer ist. Andrea muss dann oft lachen und bewundert Monis Art sich so mal frei zu machen. Monis Sing Sang in der Stimme wird ihr zum zweiten Ich und wenn sie Abends am Familientisch das alles mal so wiedergibt, im Sing Sang vom Moni Ich, dann kann sie reden und ihre Stimme bleibt nicht stehen – wie wunderlich.

So lernt Andrea ganz neu zu reden aber es dauert noch, bis sich ihre Stummheit legt. Aber die Melodie, sie ist und war der Schlüssel und auch wenn nicht nur ihr Vater damals oft sehr irritiert schaut, war Andrea das egal , denn sie weiß seitdem, worauf ihre Stimme baut. Training natürlich inbegriffen 🙂

und heute hört sie im Radio

Ed Sheeran hatte als Kind Stotter-Probleme: Statt Sprachtherapie halfen Eminem-Songs

und sie denkt dabei an ihre eigene Melodie im Kopf

…. müsste sie Moni eigentlich mal davon erzählen …
denn die weiß bis heute nicht davon

vanga

2 Gedanken zu „Kein Märchen“

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