Tagesgeschäft :-)

Ich hätte mich, so wahr ich lebe, längst erschossen, wenn ich nicht immer ruhig auf die Stimmung des anderen Morgens gewartet hätte, wo ich dann gewöhnlich fand, dass es sich doch in dieser Erträglichkeit recht gut sein ließ. Der Abend ist ewig die Geburtstunde der Gespenster gewesen. Da sitzt man mit glühendem Kopf und ermattetem Herzen, ohne Kraft und Saft, brütet über Windeiern und nagt am Knochen der Langeweile. Frisch sogleich die Peitsche zur Hand und damit in die Stube geknallt oder geschlafen oder gezeichnet oder das Gewehr auseinandergenommen oder die Uhr oder einen Marsch oder Anglaise auf dem Klavier getrommelt – hurtig kehrt die Spannkraft ins Herz zurück. Kann man mit dieser Lektüre etwas ausrichten, desto besser. Kurz, nur einen Funken Entschlossenheit, und man ist gerettet.

Novalis

Übe dich………

Oh, wer sich jederzeit in einem Moment über die Dinge um sich erheben könnte! Denn was uns drückt und quält, was uns ruhelos von Stimmung zu Stimmung jagt, es ist zumindest das Kleinliche, Nebensächliche des Alltagslebens, in das wir uns häufig viel zu eng verstricken lassen. Gehen doch die Menschen unserer Zeit nicht wie souveräne Herrscher durch ihr Reich, die Welt, sondern wie Sklaven, unter unzählige Joche gebückt, die sie sich selbst oder die ihnen die Verhältnisse schaffen. So wird durch eigene Schuld und Druck von außen die herrliche Menschengestalt zusammengeschnürt mit dem Strick des Vorurteils, der Indifferenz, der Selbstgefälligkeit, der Unwissenheit und anderseits des Kampfes ums tägliche Brot, bis die Brust kurzatmig wird und trüb das Auge, daß ihre Wälder vergeblich duften und ihr umsonst Sonne und Sterne strahlen.

Christian Morgenstern